„Jetzt muss die Steigung dann ein Ende nehmen!“ dachte ich mir. Die Füße haben weh getan, die Beine gebrannt.
Ich war mit einer Gruppe Männern in den schottischen Highlands an einem sogenannten „Charakter-Weekend“. Und jetzt, schon am ersten Tag, wurden wir den Berg hochgejagt. Vergangene Nacht übernachteten wir zum ersten Mal während diesem 72-Stunden-Abenteuer im Freien. Es hat gestürmt, dauernd hat der Wind am Zelt gerüttelt und immer wieder bin ich aufgewacht. Ich fühlte mich dementsprechend. Ich war echt müde. Das war allerdings kein so grosses Problem, denn ich bin Optimist und probiere in allem das Gute zu sehen. Schon lange habe ich mich auf dieses Abenteuer gefreut und jetzt wollte ich nicht auf das negative schauen, sondern mich am tollen Erlebnis freuen!
Doch leider nahm der Aufstieg immer noch kein Ende. Und jetzt begann auch noch mein Hüftgelenk unter der Last des Rucksacks zu schmerzen. „Genieße diesen Sonnenstrahl“ probierte ich mich schnell abzulenken. Doch mit der Zeit half aller Optimismus nichts mehr. Mein Körper zeigte mir unmissverständlich meine Grenzen auf. Wirklich deutlich. Aber eigentlich wollte ich meine Grenzen nicht spüren! Später hätte es mir nicht so viel ausgemacht, aber bitte nicht schon am ersten Tag! Mein ganzer Körper hat weh getan. Jetzt spürte ich eine Aggression in mir aufsteigen. Ich hörte mich denken: „Was haben die Organisatoren sich nur dabei gedacht?“ Ich war mir sicher, dass es nicht so streng weitergehen konnte. Denn es muss doch jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass wir mit gut 15 Kilo auf unseren Rücken nicht lange so steil bergauf gehen können. Gerade auch darum, weil es keine Wege oder Trampelpfade hatte, die den Aufstieg wenigstens ein bisschen erleichtert hätten. Jeder Fuss musste vorsichtig platziert und belastet werden, damit ich a) nicht im Sumpf einsinke, b) nicht stolpere c) nicht ausrutsche, d) nicht zu tief im Schnee versinke, e) nicht einknicke, f) und g) kannst du dir selber ausdenken. Diese Koordination, zusammen mit der Anstrengung und den Schmerzen war sehr herausfordernd.
„Hätte ich dies organisiert, würde ich die Teilnehmer nicht so quälen. Wir haben schließlich Zeit und Geld investiert, dies zu erleben! Das ist schon fast eine Frechheit!“ Ich wusste, dass es anstrengend werden würde. Aber dass es so hart für mich wird, das hätte ich nicht gedacht! Ich würde sagen, dass ich sportlich bin. Naja, mindestens nicht unsportlich. Und trotzdem hat mich die Situation an meine Grenzen gebracht und schlafende Aggressionen in mir geweckt. Meine Teammitglieder haben das nicht mitbekommen, denn ich will kontrolliert bleiben und Menschen die aggressiv sind, sind unsympathisch. Und sie bringen negative Stimmung. Ich wollte beides nicht, obwohl meine Kollegen sicher gut damit umgegangen wären. So habe ich das alles in mir gewälzt und mir einige Gedanken gemacht. „Warum dieser innere Kampf?“
Später, als wir während einer Pause einen Tee kochten und Gedanken austauschten, wurde mir bewusst, dass ich ziemlich bequem geworden bin. Ich habe mir meine Komfort Zone eingerichtet und wollte sie unbewusst nicht verlassen. Also habe ich sie verteidigt. Und nun kommen diese Wahnsinnigen und hetzen uns einen Berg nach dem andern rauf. Und wieder runter. Wollte ich das Weekend erfolgreich beenden, musste ich meine Komfort Zone verlassen. Aber ich wollte nicht! So setzen meine Aggressionen ein, um meine Bequemlichkeit zu verteidigen. Innerlich habe ich wütend mit den Füssen gestampft, wie ein kleiner Junge, der nicht mehr weitergehen will. Ich habe mich auf den Boden geworfen und um mich geschlagen (bildlich gesprochen). Dies in der Hoffnung, in meiner bequemen Zone bleiben zu können. Aber es hat alles nichts genützt. Ich musste weiter, ich hatte keine Optionen und so habe ich den Kampf aufgegeben und meine Komfort Zone verlassen. Ich habe mich mit dem Schmerz abgefunden, machte in meinem Geist Frieden mit den Organisatoren und entschied mich, dieses Abenteuer mit ganzem Mut durchzuziehen.
Jetzt, nach Schneesturm, Regenwetter, Schmerz und Schweiss, viele Kilometer und Höhenmeter später, merke ich: Reto, du kannst mehr als du dir zutraust! Achte allgemein in deinem Leben auf die Aggressionen in dir, und lass dich von ihnen nicht abhalten, deine Komfort Zonen im leben zu verlassen. Die Aggressionen wollen dich hindern, das wahre Leben zu entdecken! Sie möchten nicht, dass du weiter kommst und deine Grenzen sprengst. Sie möchten dich da halten wo es gemütlich, bequem und langweilig ist! Darum achte auf deine Aggressionen, sie können ein Signal sein, einen Schritt zu wagen und dein Gebiet zu erweitern! Reto, du kannst mehr als du denkst! Lass dir nur von Gott Grenzen setzen, aber nicht von dir selbst oder von anderen Menschen!
Wenn ich zurückblicke, bin ich den Menschen dankbar, auf die ich während dem Aufstieg noch wütend war. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, mich weiter zu entwickeln! Sie haben mir geholfen, meine Grenzen zu erweitern!
Danke, dass ihr die Aggressionen in mir geweckt und mich wütend gemacht habt!
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